Bericht einer Reise im Sitzen

Ausstellung mit Reportage-Comics bei Zeitraum_Ex!t in Mannheim

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Die Rheinpfalz

Das Genre der Comics, dieser gezeichneten Geschichten, hat charakteristische Techniken in einer immensen Vielfalt von Stilvarianten entwickelt. Als allgemein verbindlich gelten die Gliederung der Seite in fortlaufende Bilderstreifen, Sprechblasen, dynamische Wechsel von Nah- und Fernsicht, unterschiedliche, zum Teil auch extravagante Perspektiven. Neben erzählenden Comics gibt es auch solche mit Reportage-Charakter. Nur um diese Reportage-Comics geht es in einer Ausstellung von Zeitraum_Ex!t in Mannheim. Die Zeichner Oliver Grajewski, Ulli Lust, Yves Noyau, Kai Pfeiffer, Pierre Thomé stehen für eine aktuelle Bandbreite.

Der Zeichnung widmet Zeitraum_Ex!t besondere Aufmerksamkeit, sind doch drei ihrer vier Macher selbst in erster Linie Zeichner, wenn sie sich auch auf einer anderen Wellenlänge als die Comic-Zeichner bewegen. Die nämlich müssen sich an Regeln halten, deren eine eine wiedererkennbare Figuration ist. Für Reportage-Comics gilt diese Regel noch rigoroser. Die drei in der Ausstellung vorgestellten deutschen Zeichner leben in Berlin, das sich als Comic-Zentrum etabliert hat.
Die aus Österreich stammende Ulli Lust folgt in einer umfangreichen Arbeit über das Abrissviertel Halle-Neustadt der traditionellen Fotoreportage. Die Rückbaustadien zeichnet sie nüchtern wie ein Architekt. Zwischen diese Stadien wiederum sind Anwohner-Debatten eingeschoben, in denen die Zeichnerin in Rückenansicht als interviewende Reporterin persönlich auftritt. Ulli Lusts Reportage ist während eines Arbeitsstipendiums des Bauhauses Dessau entstanden. Ihr fehlt nichts, was man von einer Fotoreportage erwartet, aber sie hat dieser doch einiges voraus. In die Bilder, ganz besonders in die Charaktere und Sprechblasen der Debatten, ist nämlich so viel ostdeutsche Befindlichkeit und Alltagsrealität gepackt, wie sie ein Fotojournalist schwerlich zustande bringen würde. Die Zeichnerin bündelt Stimmungen, Redensarten, spontane Äußerungen und Gefühle. Sie kreiert die zu ihnen passenden Typen und gliedert Vielzahl durch grafische Mittel. Ein Fotojournalist hingegen ist gezwungen, sich auf wenige Gesprächspartner zu beschränken, die dann auch nicht so umfassend repräsentativ sind.

Wie anders man mit dem gleichen Thema umgehen kann, zeigt eine auf Architektonisches beschränkte Arbeit von Kai Pfeiffer. Sein Glanzstück ist jedoch „Wien: Im Kaffeehaus - Bericht einer Reise im Sitzen". Es kommt ohne jeden Text aus und wird als Flash-Animation präsentiert. Das bringt eine verblüffende Dynamik in einen vergleichsweise statischen Gegenstand. Der Zeichner erwandert sich die Fläche, indem er sie in Arbeitsschritten füllt. Er erwandert sich den Raum des Kaffeehauses, indem er unbewegliche Motive wie leere und besetzte Tische von verschiedenen Seiten einkreist, heranholt oder wegschiebt. Und er erwandert sich Charaktere und Tätigkeiten, indem er zum Beispiel einen Kellner in wechselnden Haltungen in die Fläche hineinflasht. Kai Pfeiffer erwandert sich sogar den Geist des Kaffeehauses, wenn er mit Tassen, Stühlen und Kellnern jongliert, bis die Fläche allüberall gefüllt ist.

Oliver Grajewski präsentiert Ausschnitte aus seiner Serie „Die Natur ist nicht schlecht, sie ist nur voll" als eine Dia-Schau. Rund 140 Strips in dem Format, wie es gern von Zeitungen gedruckt wird, hat er dazu gezeichnet. Zündend ist nicht nur der jeweilige Einfall, sondern nicht minder der zu diesem passende Zeichenstil. Oliver Grajewski beherrscht offenbar alles, was zeichnerisch existiert, und unterwirft es seiner jeweiligen Aussageabsicht.

Die beiden in der Ausstellung vertretenen Schweizer drücken sich introvertierter in Form von Tagebüchern aus. Pierre Thomé hat für seine China-Reise ein chinesisches Skizzenbuch aus Reispapier gewählt. Stilistisch nehmen seine Darstellungen von Stadtarchitektur und Volksleben Anregungen aus der traditionellen chinesischen Tusche-Zeichnung auf. Yves Noyau zeichnet ebenfalls Reiseeindrücke, aber nicht in ganzseitigen Skizzen wie Pierre Thomé, sondern in subjektiv erzählenden Bildstreifen. Er zeichnet spitz und dünn und hauptsächlich mit Bleistift. Von anderen Reisen hat Pierre Thomé gezeichnete Postkarten mit geschriebenem Text an eine Freundin geschickt.

Heike Marx

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