Das Fremde im Blick

Zeitung

Die Festivals | Kulturregion Rhein-Neckar

Mit internationaler Performancekunst und Live Art hat sich das Mannheimer Festival „Wunder der Prärie“ auch außerhalb der Metropolregion Rhein-Neckar einen Namen gemacht. Die Biennale findet wieder im September 2015 statt. Die Festivalmacher von
zeitraumexit arbeiten schon intensiv am Programm. Das Thema: Fremdsein.

Experte im Anderssein – das ist der österreichische Tänzer Simon Mayer. Wie fremd ihm die eigene Herkunft geworden ist, thematisiert er in dem skurril-humorvollen Projekt „SunbengSitting“. „Sunbeng“ nennen die Österreicher jene Holzbänke, die vor Bauernhäusern stehen und neben den mit Geranien geschmückten Balkonen zur alpenländischen Idylle gehören.
Simon Mayer ist auf solch einem Bauernhof aufgewachsen und lässt sich nun in seine Vergangenheit zurückfallen. Seine Performance schwenkt immer wieder auf Folklore um, mit Schuhplatteln und Goaßlschnalzen, einem alpinen Männertanz, bei dem die Peitschen knallen. Ein Experiment, das Spurensuche ist und gleichzeitig die Frage aufwirft, wie sich das Gefühl der Fremdheit verändern kann. Schließlich sind weder Gesellschaft noch Individuum fixe Gebilde. „Die grundlegende Eigenschaft der Identität ist ihre laufende Veränderung“, hebt Festival-Kuratorin Gabriele Oßwald hervor. Das Festival plant eine Ko-Produktion für die Bearbeitung von „SunbengSitting“.
Gemeinsam mit den beiden anderen künstlerischen Leitern von zeitraumexit, Wolfgang Sautermeister und Tilo Schwarz, konzipiert Oßwald das Festival. Eine naheliegende Perspektive auf das Thema „Fremdsein“ schließen die drei von vornherein aus. Es wird nicht um interkulturelle Integration und nicht um die Reibungen zwischen den Kulturen gehen. Die Kuratoren schürfen in ihrem Denk- und Produktionslabor im Mannheimer Jungbusch tiefer. „Es geht um Grundsätzliches, inwiefern das Fremde notwendig ist, um die eigene Identität zu definieren“, erklärt Oßwald. Dabei spielt selbstverständlich auch die Frage eine Rolle, wie viel Fremdheit einem im eigenen Land oder der eigenen Stadt entgegenschlagen kann.
Zehn Tage lang verwandeln neben Simon Mayer viele andere international agierende Künstler die Räume von zeitraumexit in einen „Schauplatz des Fremden“. Sie nutzen diese Plattform, um ihre Sichtweisen und Ideen darzustellen. Es wird dabei auch um die Reaktionen gehen, die das Unbekannte auslöst, um Akzeptanz, Aneignung oder Ablehnung. Die Vorstellungen, darunter Premieren, Eigenproduktionen und Gastspiele, finden sowohl bei zeitraumexit im Jungbusch als auch an anderen Orten in Mannheim statt.
Ein weiteres Standbein des Festivals ist die diskursive Auseinandersetzung. So soll sich auch ein Forum aus Wissenschaftlern der Universitäten Mannheim und Heidelberg mit dem „Fremdsein“ beschäftigen. „Bei diesem Forum haben wir nicht nur an Geisteswissenschaftler und Soziologen gedacht, wir wollen bewusst auch Psychologen, Ethnologen oder Naturwissenschaftler miteinbeziehen“, betont Gabriele Oßwald.
Und auch vor dem dramatischsten und existenziellsten Kontakt mit dem Fremden, der Katastrophe, weichen die Festivalmacher nicht zurück. Sie planen eine Kooperation mit Claudia Bosse und ihrer neuen Arbeit „catastrophic paradise“, die zeigt, wie von einem Moment zum anderen Ordnungen zerschmettert werden können. Die Künstlerin beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema und hat Tonaufnahmen mit Berichten und Geräuschen von Katastrophen gesammelt, die in die Performance gestreut werden.
Eine andere Herangehensweise an das Fremde gelingt der deutsch-australischen Künstlergruppe SXS Enterprise, mit der zeitraumexit bereits das Do-it-yourself-Musical „Killing the Monsters“ produziert hat. In seinem Projekt „Die Wolke“ untersucht das Trio nun humane und non-humane Interaktionsprozesse und begegnet dem Fremden mit Kommunikation.
Wenn auch noch vieles offen ist, eines zeichnet sich schon deutlich ab: „Wunder der Prärie“ wird im kommenden Jahr den Kontakt mit dem Fremden auf sehr unterschiedlichen Wegen suchen. Das Festival wird Ungewohntes, Neues, Befremdliches bieten und damit sein Publikum erneut fordern. Denn eine Begegnung mit dem Fremden verlangt danach, die eigene Position und Identität zu reflektieren. Keine einfache Aufgabe, aber Herausforderungen sind die Besucher von „Wunder der Prärie“ ja gewohnt. Nicht zuletzt ist das auch eines der Erfolgsgeheimnisse des Festivals.