Nackt bis aufs schmutzige Hemd

Drei Performer aus Mannheim eröffnen den Theaterpreis-Reigen

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Stuttgarter Zeitung

Von Andrea Kachelrieß

Eine der Tafeln zeigt eine Unterhose, darunter fasst eine Prozentzahl die schwierigen Lebensverhältnisse von Tanz- und Theaterschaffenden der freien Szene zusammen. Hoch qualifiziert, miserabel bezahlt und trotzdem glücklich: Die kleine Ausstellung, die im Theaterhaus das noch bis zum Samstag dauernde  Landesfestival der freien Szene begleitet, glänzt nicht mit neuen Erkenntnissen. Aber sie macht die nackten Zahlen, die der „Report Darstellende Künste 2010“ lieferte, schön anschaulich. Künstler geben alles, ohne Netz und doppelte Altersabsicherung? Ja – sogar auf der Bühne entblößen sie sich bis aufs letzte, vor Schmutz triefende Hemd. Als drei Performer aus Mannheim am Montagabend den Wettbewerb um den 23. Stuttgarter Theaterpreis eröffneten, war den unrasierten Schmuddeljungs das gesammelte Mitleid des Publikums in der kleinen Theaterhaus Halle sicher. Doch Aloun Marchal,Roger Sala Reyner und Simon Tanguy geht es nicht um die prekären Verhältnisse der Macher, sie interessieren sich mehr für die prekäre Situation der Tanzkunst überhaupt. Dass sie nichts unter ihren Hemden tragen, ist die erste Kampfansage an eine Kunst, die oft in formalen Klischees und leeren Bewegungsritualen auf der Stelle tritt. Erst als sie sich mit lustigen Ballerinensprüngchen von der Wand lösen, bemerkt man die Blöße der dreiTänzer. Aber es sind nicht nur diese ungewollten Einblicke, die die Show „Gerro, Minos and Him“ schwer auszuhalten machen. An den Grenzen des Raums entlang arbeiten die drei sich so bewundernswert gnadenlos an der Entgrenzung des Tanzes ab, dass die Ekstase, die in einem fast schüchternen Ausprobieren von Raum und Bewegungen ihren Anfang nahm, zwangsweise in der Eskalation enden muss. Die Aggressionen, die sich unter den drei Tänzern vor dem Schlussapplaus entladen, gelten auch dem Publikum. Kunst macht viel zu Arbeit, mit unserem Klatschen ist es nicht getan.