Weg vom komischen Streifen

Reportage-Comics bei Zeitraum_ex!t

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scala2015

Stimmengemurmel erfüllt den in kitschiges Rosa gehaltenen Raum, untermahlt vom leisen Klappern des Geschirrs. Ab und an bringt ein beflissener Kellner ein neues Tässchen Kaffee an den Tisch. Langsam wird es spät: Den ersten weintrunkenen Gästen sinkt der Kopf auf den Tisch, während die Bedienungen verstohlen zu gähnen beginnen. Immer mechanischer und drängender werden die Geräusche – was Stunden zuvor noch plüschige Behaglichkeit war, bekommt plötzlich klaustrophobische Züge. Diese typische Wiener Kaffeehausszene hat der Berliner Zeichner Kai Pfeiffer eingefangen: In rascher Folge wechseln in seiner mit O-Tönen unterlegten Projektion Stimmungsbilder und flüchtige Eindrücke ab. Der Mitherausgeber des Magazins „Plaque“ ist einer der Pioniere der Comic-Reportage im deutschen Sprachraum und zugleich Vertreter einer neuen Form des Comic Genres: eben der Reportage.

Bereits seit einigen Jahren lässt sich in den Hochburgen Belgien, Frankreich, Nordamerika und Kanada eine Tendenz zu biografischen und gesellschaftskritischen Themen beobachten. In den Räumen des ehemaligen Mannheimer Gesundheitsamtes präsentiert nun das Büro für Kunst zetraum_ex!t eine hochkarätig besetzte Ausstellung mit Zeichnungen der Künstler Pierre Thomé, Oliver Grajewski, Noyau, Kai Pfeiffer und der Künstlerin Ulli Lust: weder Superhelden noch Micky Mäuse, sondern eine spannende Mischung aus Skizzen, Reisetagebüchern, Momentaufnahmen und (teils sehr persönlichen) Reflexionen.

Klassisches Beispiel ist die Reihe „Wer bleibt – Comicreportage aus Halle-Neustadt“ von Ulli Lust. Die Zeichnungen der Berlinerin beruhen auf ausführlichen journalistischen Recherchen, die auch ganz alltägliche Beobachtungen einschließen. „Das uramerikanischste Beinkleid von allen, die Jeans, hat Neustadt ganz und gar erobert. Die Röhrenjeans, die gerade in Berlin und London so en vogue ist, tragen hier die 30 – bis 50.Jährigen gerne mit Jeansjacke, was immer ein wenig verwegen wirkt,“ schreibt sie zum Beispiel neben die Zeichnung eines Kinderwagen schiebenden Pärchens. Fast schon malerische Qualitäten haben dagegen die während einer Chinareise entstandenen Tuschearbeiten von Pierre Thomé. Mit leichtem kalligraphischen Strich skizziert der Leiter des Studienbereichs Illustration an der Luzerner Hochschule für Gestaltung und Kunst Eindrücke wie typische Straßenszenen.

Im Zeitalter moderner Medientechnologie verlassen die Zeichnungen auch schon mal das konventionelle weiße Blatt. „Die Natur ist nicht schlecht, nur voll“, titelte beispielsweise Oliver Grajewski seine wandfüllenden Projektionen, in denen er die Mythen der Alltagskultur und Werbung aufgreift: Seine inzwischen über 100 Sequenzen umfassende und über mehrere Jahre hinweg entstandenen Serie ist bevölkert von seltsamen Monstern, „Kackmännchen“, Castorgegnern, stürzenden Pferden und Schlagersängern. Der Absolvent der Berliner Hochschule für Bildende Künste ist Herausgeber der Heftserie „Tigerboy“ du veröffentlicht unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der Berliner Zeitung und der taz.

„... Ich habe bellende Hunde gezeichnet und sobald sie genug detailreich waren, fingen sie an meine Finger zu beissen. Wahrscheinlich zu deutlich für Sigmund. Küsschen Yves.“ Dieser Postkartentext nebst einem locker skizzierten Sigmund Freud stammt aus der Feder des Züricher Zeichners Yves Noyau, dessen Reiseerzählungen unter anderem in Wien, Tolyo, Südafrika und Istanbul entstanden. Seine dokumentarische Illustration belegt einmal mehr, wie weit sich die Szene von den klassischen „komischen Streifen“ entfernt hat – und das alles andere als zu ihrem Nachteil.

EM / Bild: Kai Pfeiffer

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