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Das neue Theaterprojekt der Mannheimer Performancegruppe Exit spielt mit Romananfängen

Zeitung

Die Rheinpfalz

Von unserer Mitarbeiterin Heike Marx

"Als sie aus dem Wagen stieg...", so begann das Theaterprojekt der Mannheimer Performancegruppe Exit am Premierenabend. Es ist ein Buchanfang und dieser wird zum Ausgangspunkt für spontane Geschichten. Die beiden Darsteller bekamen ihn, ebenso wie einen kurzen Text (aus einem anderen Buch), gerade erst mitgeteilt. Von ihrer Kunst hängt ab, was die Zuschauer in den kommenden eineinhalb Stunden sehen. Das wird bei jeder Vorstellung etwas anderes sein, denn Buchanfang und Text sind nie dieselben.

Elke Schmid ist keine Regisseurin wie andere. Sie erzählt keine Geschichten im herkömmlichen Sinn. Handlungen, Figuren, Orte, Dialoge - also alles was traditionelles Theater ausmacht - interessieren sie nicht als Gerüst einer bestimmten Geschichte, sondern als Möglichkeiten von vielen Handlungen, Orten, Figuren, Dialogen. Ihre analytische Herangehensweise verlangt dem Publikum und noch mehr den Darstellern einiges ab.

Auf der Bühne sind ein Mann und eine Frau. Nico Frankenberg in dunklem Anzug mit offenem Hemdkragen sieht ein bisschen wie ein bulliger Bär aus. Kathrin Höhne ist elegant schwarz gestylt; sie wirkt feminin und rätselhaft. Die beiden stellen sich gleichsam vor, indem sie den Satz "Als sie aus dem Wagen stieg..." mit trivialen und ungewöhnlichen Einfällen zu Ende führen. Um sie herum ein Raum - für ihn ist Tilo Schwarz zuständig - mit vier großen Haufen knallbunter Kuscheltiere. Hier zwei von so tiefem Ernst geprägte Typen, als kämen sie aus einer Existenzialistenkneipe; da Unmengen von plüschigem Kinderkram - wie sollen die zusammen kommen? Kathrin Höhne liest den Text: Ein Mann und eine Frau begegnen einander an einer Bar. "Ich trinke nicht gern allein..." heißt es unter anderem. Wer auf Beziehungsgeschichte tippt, liegt richtig, aber mit dem, was er sich darunter vorstellt, vermutlich falsch.

Der Eingangssatz wird zum Leitmotiv und Gradmesser widersprüchlichster Gefühle. Es macht einen Riesenunterschied, ob man ihn beiläufig hinwirft, ob sie, zu ihm aufschauend, lockend gurrt, oder ob sie den Satz mutwillig mit den Fäusten auf seinen Rücken trommelt. Die wenigen Worte, die gesprochen werden, sind aus dem Buchtext. Anderes würde zu beliebig, erklärt die Regisseurin; denn obwohl improvisiert wird, geht es ihr um menschliche Grundbefindlichkeiten und nicht um Effekte des Improvisationstheaters.

Was die beiden Darsteller vorführen, ist kein zielgerichtetes Agieren, sondern ein performatives Zeigen. Es ist an Theaterstrukturen ausgerichtet, die dem Zuschauer in der Regel nicht oder zumindest weniger auffallen, weil sie als Handwerkszeug im Schatten der Geschichte stehen, die erzählt wird: Gänge, Pausen, Blicke, Bewegungen der Anziehung und der Abstoßung, Parallelen und Gegensätze. Hier nun erzählen die Mittel sich selbst als Erzeuger von Geschichten, die in der Vorstellung des Zuschauers stattfinden. Es sind angedachte und abgebrochene Geschichten, allgemeingültige, austauschbare, sich vervielfältigende. Sie haben weder Ort, noch Handlung, noch Dialoge, noch konturierte Figuren, aber eine Fülle von angerissenen Bildern. Pardoxerweise sind es die Kuscheltiere, die zu diesen wesentlich beitragen.

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