Künstler im Hotel

Der Rhythmus der Nacht: Gob Squad bei zeitraum_ex!t in Mannheim

Veranstaltung

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Rhein-Neckar-Zeitung

Von Franz Schneider
Mannheim liegt im wilden Westen. Seine Stadtlandschaft gleicht der Prärie, die voller Wunder ist. Diese sind von nun an alljährlich im September zu bestaunen. Dank sei zeitraum_ex!t, dem Büro heimischer Kunstvermittler für Festivals mit der besonderen Fragestellung. In diesem Jahr ging es um "Zu Hause", denn ohne Wohnung kommt man um.
So wurde man zum Zeugen der Agonie, als im Holiday Inn Mannheim City-Center die Gruppe Squad zu ihrer Perfomance-Nacht lud. Ihr Thema für die nächsten fünf Stunden: "Room Service - help me make it through the night". Squad sind übrigens Sean Patten, Berit Stumpf, Elyce Semenec und Bastian Trost. Man kommt aus Berlin, man kommt aus Nottingham, man hält seit zehn Jahren zusammen und man arbeitet im Kollektiv ohne Regisseur.
Das Hotelzimmer ist das Gegenteil von der eigenen Wohnung, von einem Zuhause. Es ähnelt ihm zunächst scheinbar und ist dann doch etwas ganz anderes: Versorgung und Anonymität. Tagsüber ist man unterwegs, nachts wird es nur noch schrecklich. Das gilt auch (vielleicht besonders) für Künstler. Was machen die vier im Holiday Inn? Ganz einfach, nichts, sie langweilen sich auf ihren Zimmern, sie sind allein, sie haben keinen Kontakt zueinander, sie probieren ihre Klamotten durch, sie machen dumme gymnastische Übungen, sie tanzen vor dem Fernseher, es wird alles immer sinnloser. Die Lösung ist das Telefon. "Ruf mich an" schreien sie unisono.
Und als sie dann verzweifelt selbst den Hörer in die Hand nehmen und lostippen, klingelt es bei denjenigen Leuten, die sich in einer Lounge des Holiday Inn zusammengefunden haben, um bei Kuschelpolstern auf vier Bildschirme mit den vieren darauf vor sich zu starren und sich dabei auch bald langweilen würden. Wenn nicht ein Spiel gespielt wird. Das Spiel heißt offiziell "Wahrheit oder Pflicht", inoffiziell aber eher "Tu was, unterhalte mich, rette mich, erlöse mich". Denn es hilft keine Hauszeitschrift, nicht das Betrachten der Grafiken über dem Bett, auch nicht das TV-Programm und auch keine Bibel in der Schublade, die gibt es nämlich im Holiday Inn gar nicht, wie einer der vier herausfand.
Man muss Aufgaben finden, um am Leben zu bleiben: Schnell zur Rezeption laufen und ein paar Äpfel holen (Sport ist Mord, auch im Hotel) oder, schon besser, einem im Publikum drei Euro schenken, einer von dem man glaubt, dass er es am meisten nötig hat. Und das war dann der Einstieg für ein Medienspektakel, das keine Form ausließ, die TV-Beichte, die Soap, die Kriminalgeschichte, die Satire um das schnelle Geld, vor allem aber das Dudelprogramm der Musiksender. Alles im Rhythmus der Nacht. Das ging sehr lange, so an die fünf Stunden, war aber das Gegenteil von Langeweile. Darum muß ab jetzt nur noch gelobt werden. Das Lob gilt den vier von Gob Squad. Für Spontaneität, Einfallsreichtum, Witz und Improvisationsgenie. Performances machen auch andere, aber nicht wie sie. Mit ihnen würde man sich gerne wieder im Holliday Inn einquartieren. Sie helfen durch die Mannheimer Prärie-Nacht.